Fluchtpunkt-Gespräche
Wir wollen Flüchtlingen und Helfern eine Stimme geben. Daher veröffentlichen wir an dieser Stelle Interviews, Gespräche und Artikel, die sich sehr persönlich mit der Flüchtlingssituation auseinandersetzen. Es lohnt sich also, hier öfter mal vorbeizuschauen.
Der Fluchtpunkt Niedernhausen erhält nicht nur durch Ehrenamtliche aus Deutschland Unterstützung, sondern auch von Menschen, die ehemals selbst geflüchtet sind. Einmal die Perspektive zu wechseln, kann helfen, Dinge mit anderen Augen zu sehen. Flüchtlingsbetreuer Yonas hat dem „Berufsbilder Podcast“ von sich und seiner Arbeit erzählt.
Wer nachhören möchte, klickt hier.
Und hier spricht Patricia Garnadt ausführlich über das „Berufsbild Ehrenamt“.
Was wird getan, um Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren? Welche Voraussetzungen sind erforderlich? Warum braucht man gerade in der Pflege neue Arbeitskräfte?. Eine Mitarbeiterin des hessischen Bildungswerks informiert im „Berufsbilder Podcast“.
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Ganz persönliche Gedanken
Lernen Sie uns besser kennen. Erfahren Sie, was uns motiviert, uns zu engagieren. Was wir uns davon erhoffen?
- dass Sie sich in der einen oder anderen Aussage wiederfinden
- dass Sie die vielleicht vorhandene persönliche Distanz zu den Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern überwinden
- und im besten Falle: dass sich Ihr Interesse in Engagement und Unterstützung für den Fluchtpunkt Niedernhausen wandelt
Den Anfang machen Nathalie Ickstadt (Schwerpunkt Facebook) und Sabine Karbowy (Schwerpunkt Website). Die beiden haben sich über den Fluchtpunkt Niedernhausen kennengelernt und tauschen sich in unregelmäßigen Abständen über ihre Motiviation und ihre Gedanken zum Thema „Flüchtlingsarbeit“ aus.
Sabine: Also – dann fange ich mal an, Nathalie. Okay?
Nathalie: Okay.
Sabine: Ich heiße Sabine Karbowy, bin 56 Jahre alt und lebe seit elf Jahren in Niedernhausen. Ich bin selbstständig im Bereich Kommunikation – also ich konzipiere und erstelle Strukturen und Texte für Broschüren, Websites etc. – und bin mit meinem Büro vor gut drei Jahren nach Niedernhausen gezogen.
Nathalie: Dein Büro ist wirklich schön. Ja, also: ich bin Nathalie Ickstadt, 20 Jahre alt und wohne in einem Ortsteil von Idstein. Ich habe 2015 mein Abitur gemacht und eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellte begonnen.
Sabine: Das klingt so, als würden wir beide ein paar ganz gute Voraussetzungen für ein Fluchtpunkt-Engagement mitbringen.
Nathalie: In der Tat. Was machst du genau beim Fluchtpunkt Niedernhausen?
„Für mich ist es wichtig, dass sich Beruf und Ehrenamt verbinden lassen.“
Sabine: Für mich ist wichtig, dass sich Beruf und Ehrenamt verbinden lassen. Daher engagiere ich mich in Sachen Website. Durch das Protokollschreiben bei den Koordinierungs-Treffen habe ich viel gelernt und erfahren, was ich dann zum Aufbau der Website nutzen konnte.
Nathalie: Sehr praktisch – und dazu kommt, dass bestimmt keiner traurig ist, wenn du das Protokollschreiben übernimmst …
Sabine (lacht): Nein – das Gedränge um diesen Job ist recht überschaubar.
Nathalie: Und jetzt – nach der Fertigstellung – pflegst du die Seite?
„Neue Termine und aktuelle Nachrichten werden auf der Website eingepflegt.“
Sabine: Ja. Wir können jetzt – zum Beispiel auch gemeinsam mit dir – darüber nachdenken, wie man die Website sinnvoll erweitern kann. Und gepflegt werden muss sie auch – mit neuen Terminen und aktuellen Nachrichten.
Nathalie: Die Website ist wirklich sehr schön geworden. Das hat bestimmt viel Arbeit und Zeit gekostet, aber umso mehr Spaß macht es nun, immer wieder neue Sachen mit einzubringen.
Sabine: Richtig. Aber was machst du beim Fluchtpunkt Niedernhausen?
Nathalie: Ich habe im Juni 2016 angefangen, mit einer weiteren Lehrerin Deutschunterricht in der Lochmühle zu geben. Als ich dann gemerkt habe, dass man immer wieder vor neuen Herausforderungen in der Flüchtlingsarbeit steht und einfach zu wenig helfende Hände da sind, kam ich zusammen mit Tanja Cibulski und einem Flüchtling aus Afghanistan, Jamshid Amarkhil, auf die Idee, eine Facebook-Gruppe zu gründen.
Sabine: Das ist klasse! „Facebook-Gruppe“ heißt aber, dass das ein geschlossener Kreis ist, nicht wahr? Da kann nicht jeder rein.
„Wir kennen alle Mitglieder der Facebook-Gruppe persönlich.“
Nathalie: Richtig – die Facebook-Gruppe dient vor allem den Austausch interner Informationen zwischen allen haupt- und ehrenamtlich Tätigen, als auch dem Austausch mit den Geflüchteten. Und daher kennen wir alle Mitglieder der Facebook-Gruppe persönlich. Um allerdings noch mehr Leute für unsere Arbeit zu begeistern, haben wir auch eine öffentliche Facebook-Seite erstellt, die immer aktuell über unser Engagement und unsere Erfolge berichtet.
Sabine: Und hier kann jeder schauen und „liken“ und kommentieren.
Nathalie: Genau.
Sabine: Das ist eine ganze Menge Arbeit, die ihr da in die Facebook-Geschichte steckt, klasse!
Nathalie: Aber wir haben ja auch ein Ziel!
Sabine: Stimmt! Und darüber sind wir beide uns ja auch sehr einig, nicht wahr? Aufklärung ist immens wichtig. Immer wieder erklären, was bei uns in der Gemeinde in Sachen Flüchtlingsarbeit passiert, Menschen einander näherbringen – und sei es auch zunächst über die digitalen Medien wie Facebook und Website.
„Man muss einfach mit den Leuten sprechen.“
Nathalie: Ja – wir wollen Aufmerksamkeit erregen, die in Neugier umschlägt und dann – das wäre super! – in ehrenamtliches Handeln übergeht. Wenn wir das mit unserem Engagement schaffen würden, dass der Fluchtpunkt blüht, wächst und gedeiht – das würde mir sehr gefallen.
Sabine: Da kann ich dir nur zustimmen.
Nathalie: Man muss einfach mit den Leuten sprechen, um ihnen die Unsicherheit zu nehmen. Außerdem lernen wir, als Helfer des Fluchtpunkt Niedernhausen selbst sehr viel dazu. Aber darüber reden wir ja später nochmal, oder?
Sabine: Ja, genau. Nachdem wir jetzt gesagt haben, was wir machen, sollten wir noch darauf hinweisen, was die Menschen grundsätzlich machen können.
„Viele Angebote, wie man sich engagieren kann, findet man auf unserer Website.“
Nathalie: Ja, da gibt es wirklich ganz viel. Und viele Angebote, wie man sich engagieren kann, findet man auch auf unserer Website – unter Engagement.
Sabine: Manchmal muss man auch ein bisschen suchen. Eine Zeitlang habe ich mich bei der Hausaufgabenhilfe engagiert. Aber ich habe festgestellt, dass diese Aufgabe nicht das Richtige für mich ist. Ich bin eher so der Kopftyp, nicht so verspielt – und die Kinder, die zur Hausaufgabenhilfe kommen, brauchen eher so den mütterlichen Typ. Das bin ich halt nicht so.
Nathalie: Ja, das stimmt, man muss einfach für sich etwas raussuchen, was man gut kann und die anderen daran teilhaben lassen.
„Der direkte Kontakt über Treffen oder auch WhatsApp ist einfach klasse!“
Sabine: Genau. Und direkten Kontakt zu den Flüchtlingen über Treffen und WhatsApp zu haben, ist zum Beispiel klasse! Man kann sich austauschen, wann immer gerade Zeit ist – und mittlerweile versuche ich auch, Zeit für gemeinsame Aktivitäten zu finden. Das ist alles noch recht zaghaft … aber es wird.
Nathalie: Stimmt – Jam, mit dem ich die Facebook-Gruppe pflege – hat mir schon ganz stolz erzählt, dass er bald ins Haus der Geschichte nach Bonn mit dir und deinem Mann fährt. Eine klasse Idee. Vielleicht könnte man das mal als größeres Projekt starten. Alle die, die Interesse haben, können mitkommen. Soweit ich weiß, ist der Eintritt ja auch kostenlos.
Sabine: Richtig! Da könnten wir mal einen schönen Fluchtpunkt Niedernhausen-Ausflug machen. Fehlt uns nur noch ein Busunternehmer, der unseren Ausflug ein wenig finanziell unterstützt …
„Geduld haben!“
Nathalie: Ich bin mal sehr gespannt, wie das auf die Flüchtlinge wirkt. Die deutsche Geschichte. Ach ja, was mir noch sehr wichtig ist und ich allen nur raten kann: Geduld zu haben!
Sabine: In der Tat! Vor allem auch mit sich selbst. Hier mal reinschnuppern, da mal zuschauen und vielleicht auch einfach mit „erfahrenen“ Ehrenamtlichen einfach mal mitlaufen. Du weißt ja, Nathalie – die berühmten Berührungsängste abbauen.
Nathalie: Du sagst es, Sabine. Ich war mir am Anfang auch etwas unsicher und wusste nicht, was auf mich zukommt. Aber das ist doch bei allem so. Letztendlich muss man die Unsicherheit einfach überwinden und auf die Menschen zugehen, dann klappt das schon.
Sabine: Ein schönes Schlusswort. Treffen wir uns in Kürze wieder zu einem „Fluchtpunkt-Gespräch“? Ich hätte da noch ein paar Fragen …
Nathalie: Auf jeden Fall!
Sabine: Hallo Nathalie – es ist wieder mal soweit. Wir haben Zeit zum Quatschen.
Nathalie: Ja – super. Wir hatten ja bereits angekündigt, dass wir noch eine ganze Reihe von Themen haben.
Sabine: Richtig. Sag mal, wie bist du auf den Fluchtpunkt Niedernhausen aufmerksam geworden?
„Man kam ja 2015 um das Thema gar nicht herum!“
Nathalie: Also, ich habe mit meiner Nachbarin, einer sehr guten Freundin von mir, über das Thema Flüchtlinge gesprochen. Man kam ja um das Thema gar nicht rum, ehrlich gesagt. Sie sagte mir dann, dass eine Frau aus meinem Wohnort Deutschunterricht gibt. Da habe ich einfach die Initiative ergriffen und bin als Zuschauerin mit zu einer Deutschstunde in die Lochmühle gegangen.
Sabine: Ist diese Lehrerin eine ausgebildete Lehrerin?
Nathalie: Ja, sie ist Lehrerin. Jedenfalls war ich so begeistert, dass ich immer wieder mitgekommen bin und langsam anfing, im Unterricht auch Dinge zu erklären. Irgendwann machten wir den Unterricht dann zu zweit und ich habe sie zu den Lehrertreffen des Fluchtpunkt Niedernhausen begleitet, dann zu den Koordinierungstreffen usw. Und dadurch habe ich sehr viele Leute kennengelernt – zum Beispiel auch dich.
Sabine:Ja – und darüber freue ich mich immer wieder sehr, dass wir uns kennengelernt haben, denn ich finde, dass wir als Team sehr gut zusammenarbeiten.
Nathalie: Und wie war das bei dir? Wie bist du zum Fluchtpunkt Niedernhausen gestoßen?
„Ich hab mir immer gesagt: Wer, wenn nicht wir?“
Sabine: Ich habe irgendwann im Niedernhausener Anzeiger gelesen, dass sich da eine Gruppe trifft, die sich der Flüchtlingssituation in Niedernhausen annimmt. Das war im Herbst 2015. Und wie du schon gesagt hast, man kam an dem Thema ja gar nicht vorbei! Im Fernsehen hatte ich die ganze Zeit die Berichte gesehen, in der Zeitung Artikel gelesen – und ich habe es schlicht nicht ausgehalten, das alles ganz ruhig aus der überdachten Loge anzuschauen.
Nathalie: Das hat einen damals regelrecht nervös gemacht, nicht wahr?
Sabine: Ja! Genau! Ich hatte halt auch immer das Gefühl, dass diese Aufgabe nicht von der Regierung zu lösen ist, dass diese Aufgabe nur in den Griff zu bekommen ist, wenn wir VOR ORT aktiv werden. Ich habe immer nur gedacht „Wenn nicht wir, wer soll sich denn dann um diese Menschen kümmern?“ Die Politik kann die Rahmenbedingungen schaffen, aber wir sind vor Ort, sind in unserer Nachbarschaft, sind die, die Hand anlegen können, die ganz praktisch unterstützen können. Und es ist wirklich einfach so, dass es Spaß macht, wenn man sieht, dass sich die Dinge verändern – und zwar zum Positiven verändern.
„Eigentlich wollte ich schon länger etwas in der Richtung machen.“
Nathalie: In der Tat war das bei mir auch so, dass ich mir schon seit längerer Zeit Gedanken gemacht hatte, ob ich nicht aktiv in der Flüchtlingshilfe mitmachen soll. Und 2015 war wirklich der Moment, wo man ich mir gesagt habe: „Mensch, da kann man doch nicht nur zuschauen.“
Sabine:Ja – das ist wirklich auch bei mir ein ganz intensives Gefühl gewesen.
Nathalie: Wenn ich jetzt über das „Warum“ nachdenke, kann ich einfach nur sagen, dass ich Menschen helfen möchte. Durch die Arbeit mit Flüchtlingen und deren Geschichten, über ihr Leben, habe ich vor allem gelernt, mein eigenes Leben und meinen Lebensstandard wertzuschätzen und ich möchte davon einen Teil abgeben.
Sabine: Ich sage ja immer, dass das auch eine hübsche Lektion in Demut ist. Es rückt den Blick auf das Leben wieder zurecht.
„Die Sicht auf die Dinge wird eine andere.“
Nathalie: Ich denke, das hast du auch schon erlebt, Sabine, dass man einfach auch eine andere Sicht auf die Dinge entwickelt.
Sabine: In der Tat!
Nathalie: Vielleicht mag das jetzt etwas, ich weiß nicht, „übertrieben“ klingen, aber nicht nur die Kriege, vor denen die Menschen flüchten, werden Geschichte schreiben, sondern man wird auch über die Länder sprechen, in die sie geflohen sind und was sie dort erlebt haben, wie sie aufgenommen wurden und wie ihre Zukunft ausgesehen hat.
Sabine: Ja. Klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber ich weiß, was du meinst.
„Ich möchte eine gute Antwort auf die Frage „Wie war das damals eigentlich“ geben können.“
Nathalie: Irgendwann wird es ein Teil des Geschichtsunterrichts in der Schule werden und wenn vielleicht meine Enkel mich irgendwann fragen: „Oma, wie war das damals eigentlich?“, kann ich zumindest viel über die Menschen, die wir jetzt kennenlernen, erzählen und lächelnd an die Zeit zurückdenken, in der ich und viele andere versucht und geholfen haben, allen eine gute Zukunft zu ermöglichen. Oh Gott, das klingt gerade echt bescheuert, oder? Haben wir eigentlich irgendein Zeitlimit? Dann quatsch ich nämlich nicht so viel (lacht).
Sabine (lacht): Nö, wir haben kein Zeitlimit – und es klingt überhaupt nicht bescheuert. Ja – es geht um Zukunft. Um Menschlichkeit. Aber weißt du, es ist schon so, dass wir es jetzt in der Hand haben, ob das Miteinander in der Zukunft funktioniert. Wo du gerade „Geschichtsunterricht“ erwähnst …
Nathalie: Oh! Stimmt ja! Euer Ausflug nach Bonn.
„Wir haben richtig viel voneinander gelernt, das war keine Einbahnstraße!“
Sabine: Ja – genau! Das war sehr, sehr schön. Und was mir extrem gut gefallen hat, war, dass wir alle voneinander gelernt haben, das war keine Einbahnstraße. Jam und Nader haben viel von Afghanistan erzählt, von den politischen Strukturen, von Afghanistans Geschichte. Auch wenn wir im Haus der Geschichte waren, das sich ja mit Deutschland beschäftigt, so gab es immer wieder Aspekte, die uns dazu animiert haben, die Situationen unserer beiden Heimatländer zu vergleichen.
Nathalie: Das klingt spannend.
Sabine: Das war es auch. Und ich würde mir wünschen, dass viele andere Menschen einen solchen Ausflug machen, um mehr voneinander zu lernen, um ins Gespräch zu kommen – durchaus auch über komplexe Sachverhalte. Das klappt nämlich sprachlich mit unseren Neubürgern mittlerweile sehr gut!
Nathalie: Hört sich alles wirklich gut an. Gibt’s ein Foto?
Sabine (lacht): Aber sicher! Hier ist es:
Erzählen Sie uns etwas
Wenn Sie an dieser Stelle gerne andere an Ihren Erfahrungen aus der Arbeit mit Flüchtlingen teilhaben lassen wollen, dann sprechen Sie uns an. Wir wollen, dass Helfen und Integrieren keine abstrakten Begriff bleiben, sondern mit Leben gefüllt werden.
Wir freuen uns auf Ihre Geschichten!